One Day


One day baby we'll be old, oh baby we'll be old and think of all the stories that we could've told.

Eines Tages, Baby, werden wir alt sein. Oh Baby, werden wir alt sein und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können.

Ich - ich bin der Meister der Streiche, wenn es um Selbstbetrug geht.
Bin ein Kleinkind vom Feinsten, wenn ich vor Aufgaben stehe.
Bin ein entschleunigtes Teilchen,  kann kann auf Keinsten was reissen, kann mich begeistern für Leichtsinn - wenn ein anderer ihn lebt.
Und ich denke zu viel nach. Ich warte zu viel ab. Ich nehme mir zu viel vor und ich mach davon zu wenig.
Ich halte mich zu oft zurück,  ich zweifele alles an, ich wäre gerne klug - allein das ist ziemlich dämlich.
Ich würde gerne so vieles sagen, aber bleibe meistens still, weil wenn ich das alles sagen würde, wäre es viel zu viel.
Ich würde so gerne so vieles tun,  meine Liste ist so lang, aber ich werde eh nie alles schaffen. Also fange ich gar nicht an.
Stattdessen hänge ich planlos vorm Smartphone, warte bloß auf den nächsten Freitag. 
"Ach, das mache ich später" ist die Baseline meines Alltags.
Ich bin so furchtbar faul wie ein Kieselstein am Meeresgrund, ich bin so furchtbar faul, mein Patronus ist ein Schweinehund, mein Leben ist ein Wartezimmer, niemand ruft mich auf; mein Dopamin, das spar ich immer falls ich es nochmal brauch. Und eines Tages, Baby, werde ich alt sein. Oh Baby, werde ich alt sein und an all die Geschichten denken, die ich hätte erzählen können.

Und du? Du murmelst jedes Jahr an Silvester die wieder gleichen Vorwürfe treu in dein Sektglas und Ende Dezember stellst du fest, dass du Recht hast, wenn du sagst, dass du sie dieses Jahr schon wieder vercheckt hast. Dabei sollte für dich 2013 das erste Jahr vom Rest deines Lebens werden. Du wolltest abnehmen, früher aufstehen, öfter rausgehen, mal deine Träume angehen, mal die Tagesschau ansehen für mehr Smalltalk,  Allgemeinwissen. Aber so wie jedes Jahr, obwohl du nicht damit gerechnet hast, kam dir wieder mal dieser Alltag dazwischen.
Unser Leben ist ein Wartezimmer, niemand ruft uns auf. Unser Dopamin, das sparen wir immer, falls wir es nochmal brauchen. Und wir sind jung und haben viel Zeit.
Warum sollen wir was riskieren, wir wollen doch keine Fehler machen, wollen auch nichts verlieren, es bleibt so viel zu tun. Unsere Listen bleiben lang und so geht Tag für Tag ins unbekannte Land.
Und eines Tages, Baby, werden wir alt sein. Oh baby, werden wir alt sein und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können.
Und die Geschichten, die wir dann stattdessen erzählen, werden traurige Konjunktive sein, wie "Einmal wäre ich fast einen Marathon gelaufen und hätte fast die Buddenbrooks gelesen. Und einmal wäre ich fast bis die Wolken wieder lila werden wachgewesen. Und fast, fast hätten wir uns mal demaskiert und hätten gesehen, wir sind die gleichen. Und dann hätten wir uns fast gesagt wieviel wir uns bedeuten" werden wir sagen. Und dass wir bloß faul und feige waren, das werden wir verschweigen und uns heimlich wünschen noch ein bisschen hier zu bleiben. Und wenn wir dann alt sind und unsere Tage knapp, und das wird sowieso passieren, dann erst werden wir kapieren: wir hatten nie was zu verlieren, denn das Leben, das wir führen wollen, das können wir selber wählen.

Also lass uns doch Geschichten schreiben, die wir später gern erzählen.  Lass uns nachts lange wachbleiben, aufs höchste Hausdach der Stadt steigend frei die allertollsten Lieder singen. Lass uns Feste wie Konfetti schmeissen, sehen, wie sie zu Boden reisen und die gefallenen Feste feiern bis die Wolken wieder lila sind. Und lass mal an uns selber glauben. Ist mir egal, ob das verrückt ist, und wer genau guckt, sieht, dass Mut auch bloß ein Anagramm von Glück ist. Und wer immer wir auch waren, lass mal werden wer wir sein wollen. Wir haben schon viel zu lang gewartet,  lass mal Dopamin vergeuden.
Der Sinn des Lebens ist zu leben. Das hat schon Casper gesagt. Let's make the most of the night,  das hat schon Kesha gesagt.
Lass uns möglichst viele Fehler machen. Und möglichst viel aus ihnen lernen. Lass uns jetzt schon Gutes säen, damit wir später Gutes ernten. Lass uns alles tun, weil können und nicht müssen. Weil jetzt sind wir jung und lebendig, und das soll ruhig jeder wissen.
Und unsere Zeit, die geht vorbei. Das wird sowieso passieren, und bis dahin sind wir frei und es gibt nichts zu verlieren.
Lass uns uns mal demaskieren und dann sehen: wir sind die gleichen. Und dann können wir uns ruhig sagen, dass wir uns viel bedeuten, denn das Leben, das wir führen wollen, das können wir selber wählen. 
Also los. Schreiben wir Geschichten, die wir später gerne erzählen. Und eines Tages, Baby, werden wir alt sein. Oh Baby, werden wir alt sein und an all die Geschichten denken, die für immer unsere sind.

- Julia Engelmann, One Day/Reckoning Text

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